GO!
1810

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Schneeweißchen.
Schneewitchen. Unglückskind.

Es war einmal Winter u. schneiete vom Himmel herunter, da saß eine Königin am Fenster von Ebenholz u. nähte, die hätte gar zu gerne ein Kind gehabt. Und während sie darüber dachte, stach sie sich ungefähr mit der Nadel in den Finger, so daß drei Tropfen Blut in den Schnee fielen. Da wünschte sie u. sprach: ach hätte ich doch ein Kind so weiß wie diesen Schnee, so rothbackigt wie dies rothe Blut u. so schwarzaügig wie diesen Fensterrahm!
Bald darnach bekam sie ein wunderschönes Töchterlein, so weiß wie Schnee, so roth wie Blut, so schwarz wie Eben, u. das Töchterlein wurde Schneeweißchen genannt. Die Frau Königin war die allerschönste Frau im Land, aber Schneeweißchen war noch hunderttausendmal schöner u. als die Frau Königin ihren Spiegel fragte:

Spieglein Spieglein an der Wand
wer ist die schönste Frau in ganz Engelland?

so antwortete das Spieglein: dieFrau Königin ist die schönste, aber Schneeweißchen ist noch hunderttausendmal viel schöner.
Darüber konnte es die Frau Königin nicht mehr leiden, weil sie die schöneste im Reich wollte seyn. Wie nun der Herr König einmal in den Krieg verreist war, so ließ sie ihren Wagen anspannen u. befahl in einen weiten dunkeln Wald zu fahren, u. nahm das Schneeweißchen mit. In dem selben Wald aber standen viel gar schöne rothe Rosen. Als sie nun mit ihrem Töchterlein daselbst angekommen war, so sprach sie zu ihm: ach Schneeweißchen steig doch aus u. brich mir von den schönen Rosen ab! Und

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sobald es diesem Befehl zu gehorchen aus dem Wagen gegangen war, fuhren die Räder in größter Schnelligkeit fort, aber die Frau Königin hatte alles so befohlen. weil sie hoffte, daß es die wilden Thiere bald verzehren sollten.
Da nun Schneeweißchen in dem großen Wald mutterallein war, so weinete es sehr und ging immer weiter fort u. immer fort u. wurde sehr müd, bis es endlich vor ein kleines Häuschen kam. In dem Häuschen wohnten sieben Zwerge, die waren aber gerade nicht zu Haus, sondern ins Bergwerk gegangen. Wie das Schneeweißchen in die Wohnung trat, so stand da ein Tisch, u. auf dem Tisch sieben Teller, dabei sieben Löffel, 7 Gabeln, 7. Meßer u. 7 Gläser, u. ferner waren in dem Zimmer sieben Bettchen. Und Schneeweißchen aß von jedem Teller etwas Gemüß u. Brot, u. trank dazu aus jedem Gläschen einen Tropfen, u. wollte sich endlich aus Müdigkeit schlafen legen. Es probirte aber alle Betterchen u. fand ihm keines gerecht, bis auf das letzte, da blieb es liegen.
Als nun die sieben Zwerge von ihrer Tagesarbeit nach Hause kehrten, so sprachen sie, jedweder:

Wer hat mir von meinem Tellerchen gegeßen?
Wer hat mir von meinem Brötchen genommen?
wer hat mit meinem Gäbelchen gegeßen?
wer hat mit meinem Meßerchen geschnitten?
wer hat aus meinem Becherchen getrunken?

u. darauf sagte das erste Zwerglein:

wer hat mir nur in mein Bettchen getreten?

u. das zweite sprach ei, in meinem hat auch jemand gelegen. Und das dritte auch u. das vierte ebenfalls u. so weiter, bis sie endlich im siebenten Bett Schneeweißchen liegen fanden. Es gefiel ihnen aber so wohl, daß sie es aus Erbarmung liegen ließen, u. das siebente Zwerglein mußte sich mit dem sechsten behalfen, so gut es konnte.
Als nun Schneeweißchen am andern Morgen ausgeschlafen hatte so fragten sie es: wie es hierher gekommen? u. es erzählte ihnen alles, u. daß es die Frau Königin Mutter im Wald allein gelaßen hätte u. fortgefahren wäre. Die Zwerge hatten Mitleiden mit ihm u. ersuchten es, bei ihnen zu bleiben, u. ihnen das Eßen zu kochen,

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wann sie ins Bergwerk ausgingen, doch möchte es sich vor der Frau Königin hüten u. ja niemand ins Haus einlaßen.
Als nun die Frau Königin hörte, daß Schneeweißchen bei den 7. Zwergen wäre, u. nicht im Wald umgekommen, so zog sie die Kleider von einer alten Krämerin an, u. ging vor das Haus u. begehrte Einlaß mit ihren Wahren. Schneeweißchen aber erkannte sie gar nicht u. sprach am Fenster: ich darf niemand hereinlaßen. Da sagte die Krämersfrau: ach sieh liebes Kind, was ich da für schöne Schnürriemen hab u. ich laß dir sie gar wohl feil! Schneeweißchen gedachte aber: die Schnüre thun mir gerade sehr nöthig, es wird ja nichts schaden, ob ich die Frau hereinlaße, ich kann da einen guten Kauf thun, u. machte ihr die Thür auf u. kaufte Schnüre. Und wie es solche gekauft hatte, so fing die Krämerin an zu sprechen: aber ei, wie bistu so schlampisch geschnürt wie steht dir das an, komm ich will dich einmal beßer einschnüren. Darauf nahm die alte Frau, welches aber die Frau Königin War, den Schnürriemen u. schnürte das Schneeweißchen all so hart, daß es für todt hinfiel, worauf sie fortging.
Als die Zwerglein nach Hause kamen u. Schneeweißchen da liegen sahen, so gedachten sie all so bald, wer da gewesen wäre, u. schnürten es schnell auf, so daß es wieder zu sich kam. Sie ermahnten es aber hinfüro zu beßerer Vorsicht.
Nachdem die Frau Königin erfuhr, daß ihr Töchterlein wieder lebendig geworden wäre, so konnte sie doch nicht ruhen u. kam wieder in verstellter Kleidung vor das Haüschen u. wollte dem Schneeweißchen einen prächtigen Kamm verkaufen. Da ihm nun der selbe Kamm gar zu wohl gefiel, so ließ es sich verleiten u. schloß die Thüre auf, und die Alte trat herein u. fing an, in seinen gelben Haaren zu kämmen u. ließ den Kamm stecken, bis es wie todt hinsank. Als die 7 Zwerge nach Haus kamen, so fanden sie die Pforte offen stehen, u. Schneeweißchen auf der Erde liegen, wußten auch gleich, wer das Unheil gemacht hätte. Indeßen zogen sie den Kamm sogleich aus den Haaren heraus, u. Schneeweißchen kam wieder lebendig. Sie sagten ihm aber, daß wenn es sich noch einmal bethören ließe, sie ihm nicht mehr helfen könnten.

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Die Frau Königin war aber sehr bös, da sie erfuhr, daß Schneeweißchen wieder lebendig geworden wäre u. verkleidete sich zum dritten mal, in eine Bauersfrau, u. nahm einen Apfel mit, der halb vergiftet war u. zwar auf der rothen Hälfte. Schneeweißchen hütete sich wohl, der Frau aufzumachen, sie reichte ihm aber den Apfel zum Fenster hinein, u. konnte sich so wohl stellen, daß man gar nichts merkte. Schneeweißchen biß in den schönen Apfel, da wo er roh war, u. sank u. sank todt zu Boden.
Als die sieben Zwerge aber heim kehrten, so konnten sie nicht mehr helfen, u. waren sehr traurig und führten auch ein großes Leid. Sie legten aber Schneeweißchen in einen gläsernen Sarg, worin es seine vorige Gestalt ganz behielt, schrieben seinen Namen u. Abstammung darauf, blieb und bewachten es sorgfältig Tag und Nacht.
Eines Tags kehrte der König, Schneeweißchens Vater, in sein Rech zurück u. mßte durch denselben Wald gehen, wo die 7 Zwerge wohnten. Als er nun den Sarg u. deßen Inschrift wahrnahm, so empfing er große Traurigkeit über den Tod seiner geliebten Tochter. Er hatte aber in seinem Gefolg sehr erfahrne Ärzte bei sich, die baten sich den Leichnam von den Zwergen aus, nahmen ihn u. machten ein Seil an 4 Ecken des Zimmers fest u. Schneeweißchen wurde wieder lebendig. Darauf zogen sie alle nach Haus, Schneew. wurde an einen schönen Prinzen vermählt, u. auf der Hochzeit wurden ein Paar Pantoffeln im Feuer geglüht, welche die Königin anziehen u. sich darin zu todt tanzen mußte.

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nach andern klopfen die Zwerge mit kleinen Zauberhämmerchen 32 mal an u. machen da durch Schneeweißchen wieder lebendig.